Eiger Ultra Trail E101 - DAS RENNEN

von Erik


Der Eiger ruft - Eiger Ultra Trail E101




Grindelwald, Samstag, 15.7.2017

2.50 Uhr. Der Wecker klingelt, eine kurze Nacht geht zu Ende. Endlich Wettkampftag. Eiger Ultra Trail, E101. Es geht los!

Aufstehen. Jetzt läuft alles automatisch. Genau überlegt und geplant. Zuerst in die Küche und die erste Hälfte des Frühstücks rein: Ultra Sports Starter, flüssiges Frühstück. Wichtig, da die Zeit zum Verdauen extrem kurz ist, nur 1,5 Stunden. Dazu über Nacht eingeweichte Haferflocken mit jeweils einem Tellöffel Zimt und Salz: LECKER! Halber Liter Rote Beete Saft und Wasser bis es unten rausläuft. Anziehen und runter zum Hotelfrühstück. Wäre vom Essen her nicht unbedingt notwendig, aber ich brauche Kaffee. Esse noch ein helles Brötchen mit Honig. Wieder aufs Zimmer, Wasser trinken, muß schnell auf die Toilette. Scheine voll hydriert zu sein. Paßt.

Zähne putzen, Kontaktlinsen rein, Nasepflaster aufkleben, Sonnencreme und Vaseline auftragen, Nasenspray nehmen (Nase ist seit ein paar Tagen leicht zu), Pulsuhr mit Pulsgurt, Klamotten an, Rucksack auf, Stirnlampe auf den Kopf. Fertig. Amelie kommt ins Wohnzimmer (4 Uhr!) und wünscht mir Glück. Freut mich sehr. Atme tief durch. Und Abmarsch. Nun ist es soweit.

Heute ist also Wettkampftag. Eiger Ultra, E101. 101 Kilometer und 6700 Höhenmeter. Im Oktober 2016 entschieden teilzunehmen, Ende Oktober angemeldet und dann auch mit der Vorbereitung begonnen. Acht intensive und umfangreiche Trainingsmonate. Mein Ziel ist anzukommen und eine ambitionierte, gute Zeit zu erreichen. Was ist eine gute Zeit für mich? Schwer zu sagen, es ist mein erster Ultra Trail. Aufgrund meiner Unterdistanzvorleistungen glaube ich 16 Stunden erreichen zu können. Wenn alles supergenial läuft vielleicht auch 15. Aber vielleicht ist das auch zu ambitioniert. Der Plan lautet: Erst mal moderat loslaufen, gut durchdacht und im Training getestet. Ca. 135 bis max. 140 Puls, ca. 75% der maximalen Herzfrequenz. Von Anfang an regelmäßig essen und trinken (0,5l bis 1l pro Stunde, 2 Gels und evtl. noch ein Riegel pro Stunde) und dann nach Gefühl Anpassungen vornehmen. Ich bin gut vorbereitet, auch das Tapering war in Ordnung, auch wenn ich mich nicht absolut top frisch fühle. Alles in allem fühle ich mich gut und bereit. Es kann also losgehen.

Beim Loslaufen merke ich, daß es sehr angenehme Temperaturen sind. Frisch aber nicht zu kalt. Perfekt. Wie geplant jogge ich los Richtung Start. Kurz vor dem Eventgelände meine ich vor einem Hotel ein Gesicht erkannt zu haben. Drehe rum und frage den Typ: "Sorry, are you Timmy Olson?" Antwort: "Yeah, man. That's me!" Mega cool, super nett. Machen ein schnelles Erinnerungsfoto.

Timmy Olson - Streckenrekordhalter Western States 100

Und weiter geht's. Direkt in den Startbereich und warten. Noch 15 Minuten. Drehe noch ein kurzes Video, Stimmung aufsaugen, locker bleiben. Noch 5 Minuten. Bin im Tunnel, ruhig und konzentriert. Gehe im Kopf nochmal die Strategie durch. Nicht zu schnell loslaufen. Nicht von der Meute mitziehen lassen. Puls ca. 135 bis 140. Aber auch nicht zu langsam um nicht, wie von Otmar Mitter gestern angemerkt, auf dem Trampelpfad zur Großen Scheidegg in den Stau zu kommen.

10, 9, 8,.. Stirnlampe an, 5,4, tief einatmen, 2,1, Pulsuhr an, Startschuß, los geht's!!!

Laufe los, habe sofort genügend Platz und versuche erstmal mein Tempo zu finden. Fühlt sich gut an. Schaue auf die Pulsuhr: 147. Mist, zu hoch. Ist ja aber auf den ersten 1000 Metern nicht unnormal. Also erstmal weiter. Finde einen guten Rhytmus und rolle ein. Puls 145. Mist. Immer noch zu hoch. Egal. Jetzt erst mal laufen und dann schauen wir mal.

Wir laufen aus der Stadt raus, Richtung Große Scheidegg. Nach einem Kilometer steht Sabine an der Strecke und fotografiert. 100 Meter weiter unser Hotel. Im Zimmer meiner Eltern ist es dunkel. Schlafen hoffentlich noch den Schlaf der Gerechten. Jetzt sind wir raus aus Grindelwald, das Rennen läuft. Einige Läufer versuchen sofort Plätze gutzumachen, manche legen kurze Zwischensprints ein, andere schnaufen jetzt schon heftig. Denke mir, daß wir da einige bald wiedersehen werden...

Es geht raus aus Grindelwald.

KM 4: die erste Läuferin steht am Wegesrand und erholt sich. Macht nichts. Hat ja nur noch 97 km vor sich. ;-)

Habe das Gefühl, ein gutes Tempo gefunden zu haben, allerdings ist der Puls immer über 140. Eigentlich höher als geplant. Bin etwas zwiegespalten. Fühlt sich ok an, andererseits war der (getestete) Plan niedriger, allerdings ist das nun Wettkampf und da geht immer höher. Langsamer auf dem Trampelpfad bedeutet auch, daß man auf die Seite muß um Schnellere vorbeizulassen und sich wieder in einer Reihe ohne Lücken einreihen muß. Beschließe erstmal weiterzulaufen und zu versuchen, etwas zu drosseln.

Aufstieg zur Großen Scheidegg


Wetter ist super angenehm, in der Dunkelheit loszulaufen ist super. Bin gut drauf. Läuft! Gehe den Ernährungsplan im Kopf durch. Habe genügend getrunken, war voll hydriert und habe direkt vor dem Lauf nochmal einen großen Schluck genommen. Habe zwei 0,5 l - Flaschen dabei und werde diese nach Gefühl auffüllen, also mind. 0,5l pro Stunde, max. 1l. Essen erstmal nicht. Habe relativ viel gefrühstückt und das ja auch recht knapp vor dem Rennen. Also Etappe bis zum ersten Verpflegunsposten nichts essen, ab dort zwei Gels und null bis ein Riegel.




Nach einer halben Stunde muß ich dringend mal für kleine Jungs. Untypisch. Normalerweise muß ich während eins Rennens nicht auf die Toilette. Egal. Stelle mich auf die Seite für eine kurze Pause von vielen die noch folgen sollten...
Perfekte Bedingungen für einen Traillauf



Reihe mich wieder ein und weiter gehts in einer endlosen Karawane. Drehe mich um und schaue ins Tal. Ein super Anblick, eine lange Linie aus Lichtern, hunderte Stirnlampen, die sich wie an der Schnur aufgereit bis ins Tal ziehen.



Nach 1h.26 komme ich auf der Großen Scheidegg an. Na ja, da hätte ich etwas schneller gehofft. Und das obwohl ich ja eher mit etwas zu hohem Puls gelaufen bin. Ging aber bisher recht gut. Die ersten 1000 Höhenmeter sind geschafft. Jetzt schnell verpflegen und weiter. Zwei Flaschen füllen, ein Gel rein und - muß mich fast übergeben. Schmeckt widerlich. Vielleicht sollte ich ab sofort darauf achten, nicht die ganze Geltüte auf einmal reinzudrücken, dann hat man keine zu große Menge von der ekligen Mantsche im Mund. Spüle nach, zwinge mir heldenhaft noch ein zweites Gel rein und laufe weiter. Ab diesem Zeitpunkt macht mir leider der Magen Probleme. Erst nur ein ungutes Gefühl, drückt es immer mehr und im Verlaufe des Rennens wechseln sich nun leichte Magenkrämpfe, Blähungen und Stuhldrang ab. Bis zur Hälfte des Rennens werde ich mich ca. 6 Mal wegen eines größeren Geschäfts in die Büsche geschlagen haben und noch häufiger aufgrund kleinerer Angelegenheiten. Kostet jedes Mal Zeit, stört, nervt. Da ich oft klein muß, nehme ich gleich mal zwei Salztabletten, vielleicht liegt es ja daran. Bringt aber nichts.

Große Scheidegg: 1h26, 1000HM, Puls-Schnitt: 143.

Nun weiter Richung First.



Fühle mich leicht müde, Beine sind gerade nicht so besonders. Beschließe nun doch Tempo rauszunehmen. Puls geht endlich, zumindest zeitweilig unter 140.




Kurz vor First geht es bergab Richtung Bort. Steil, Asphalt. Nix laufen lassen, nur bremsen. Ist halt so. In Bort komme ich an nach nach ca. 58 Minuten.

Bort: 2h23,37. Platz 112, 235 HM, 640 HM Abstieg. Puls 141.

Nun geht es berauf Richtung First. Finde guten Rhytmus, rolle mich ein. Schaue nach oben und sehe die Aussichtsplattform auf dem First. Oben warten Amelie und meine Eltern. Freue mich.




Komme nach genau einer Stunde oben an.

Links unten der Pfad zum First - oben Mitte Weg Richtung Bachalpsee





Über den Steg zur Verpflegung

Verpflegen

Erzählen

3h26 bedeuten, daß ich momentan langsamer bin als erhofft. Das deutet eher auf 16 bis 17 Stunden hin, als auf 15 bis 16. Bin trotzdem guter Dinge. Auf der Plattform warten meine Eltern und Amelie. Läuft alles ab wie besprochen: Ich schmeiße die leeren Flaschen auf den Tisch, nehme die vollen aus den Seitentaschen des Rucksacks meines Vaters der mir auch Gels und Riegel reicht. Mutter fotografiert, Amelie muntert mich auf. Gebe kurzen Lagebericht und weiter geht's.


Späßchen

First: 3h26,30, 620 HM, 25 Abstieg, 142 Puls

Nun Richtung Bachalpsee und Feld. Dort nach 54,20 Min. 335 HM, 460 Abstieg, 144 Puls. Gut verpflegen und weiter. Nun wieder berauf zum höchsten Punkt des Rennens: auf das Faulhorn.

Schön steil, aber gleichmäßig zu marschieren. Kann hier endlich mal den Puls schön um die 140 stabilieren. Fühlt sich nicht super kraftvoll, aber ok an. Rolle gleichmäßig hoch. War inzwischen diverse Male "auf Toilette". Interessanterweise sind die Streckenabschnitte, die relativ steil und gleichmäßig sind, mit am angenehmsten. Habe hier den Puls am besten im Griff.

Faulhorn: 5h29,33, 620HM. Position 126. 

Bin müde. Fühlt sich gerade schlapp an. Verpflegungsroutine. Weiter gehts.

Nun kommt der Abschnitt, auf den ich mich gefreut habe: Faulhorn Richtung Schynige Platte und nach Burglauenen. Auf über 20km endlos bergab. Das ist meine Stärke, das macht mir Spaß! Hier kann ich mit Sicherheit Zeit und Plätze gutmachen.

Laufe zügig los - und stolpere. Kann vorkommen. Nicht aber alle paar Meter. Und das ist genau das, was nun folgt. Ich stolpere pausenlos. Das ist kein gutes Zeichen. Normalerweise passiert mir das nur, wenn ich ermüdet bin. Und das kann ja hoffentlich nicht sein, nach noch nicht mal einem Drittel des Rennens! Laufe weiter und stolpere weiter. Will die Ermüdung nicht wahrhaben und laufe flott weiter. Bei einem Überholvorgang bleibe ich mit dem Fuß an einem Felsen hängen und lege beinahe einen kapitalen Sturz hin. Kann mich gerade noch abfangen. Das wäre übel geworden, es ging über einen Absatz steil bergab.

Wenige hundert Meter weiter ist es dann soweit. Ich trete brutal gegen einen Felsen und stürze. Natürlich genau auf die Stelle der rechten Hand, die ich mir in der Vorbereitungswoche am Weissensee verletzt hatte. Ab sofort tut nun die Hand weh, vor allem beim Stockeinsatz. Geht aber. Allerdings scheine ich mir den großen Zeh verletzt zu haben. Tut ordentlich weh. Egal. Aufstehen, weiterlaufen. Im ersten Moment schlimmer als die Verletzungen oder der Schmerz ist der Gedanke, daß ich nun den Beleg habe, daß ich aktuell nicht fit bin und wenn ich mich nicht ständig hinlegen oder sogar ernsthaft verletzten will, nun endgültig regenerieren muß. Esse und trinke etwas und laufe mit gebremstem Schaum weiter. Schade, hier hatte ich eigentlich vor, Gas zu geben.

Regenerieren ist dann schwieriger als ich gedacht hatte. Es geht zwar bergab, aber meist steil und oft technisch. Da geht der Puls auch bei moderatem Tempo nicht deutlich runter. Vielleicht geht er aber auch nicht runter wegen der leichten Überlastung?

So mühe ich mich nun bergab, stolpere ständig, stürze noch ein paar Mal und noch viel öfter fast. Konzentriere mich total auf den Weg, um Stürze zu vermeiden. Überlege was zu tun ist. Ärgere mich über mich selbst. Wahrscheinlich war der Anfang doch einfach zu schnell und ich habe mir acht Monate Vorbereitung kaputt gemacht. Und vor allem war meine Hoffnung, den Lauf - zumindest in Teilen - genießen zu können. Und jetzt gerade ist es nun nur eine Quälerei. Eine gute Zeit kann ich mir inzwischen eh abschminken. Jetzt geht es ums Ankommen. Finishen. Bevor ich mich nicht ernsthaft verletze höre ich definitiv nicht auf.

So geht das nun gute 2,5 Stunden weiter. Ich leide still vor mich hin und fühle mich elend. Allerdings fällt mir irgendwann auf, daß ich trotz der Probleme und des reduzierten Tempos ständig Läufer überhole. Bergab geht also was. Später stellt sich heraus, daß ich nach Position 126 auf dem Faulhorn auf Platz 95 in Burglauenen liege. Ich hatte also 30 Läufer überholt, was mir während des Laufes nicht aufgefallen war, da ich so mit mir selbst beschäftigt war. Es kommt mir regelmäßig das Zitat eines E101 Finishers in den Sinn: "Am Anfang nicht übertreiben, das Rennen geht in Burglauenen los." Super. Ich quäle mich seit Stunden den Berg runter und unten geht das Rennen dann erst los. Und dann kommen noch acht Stunden. Na toll. Verdränge die Gedanken und fokussiere mich: Erstmal runter, das geht immer, unten warten Amelie und die Eltern - dann auf die zweite Hälfte des Rennens gehen, dann schauen wir weiter. Dieser Gedanke setzt sich fest: Erstmal auf die zweite Hälfte kommen, das ist die Rettung. Paradoxer Gedanke, hilft aber.

Irgendwann bin ich dann unten. Ich bin geschafft. Körperlich und vor allem auch psychisch. Die ständige Konzentration, Unwohlsein, Magenprobleme, Sturzvermeidung, Toilette gehen in Verbindung mit der körperlichen Müdigkeit laugen aus. Ich bin angenknockt und ausgelaugt. Überlege ob ich meiner Crew überhaupt was sage. Meine Eltern machen sich dann eh nur Sorgen.

Burglauenen: Ich laufe in die Verpflegungsstation ein

So sieht man aus, wenn es einem nicht gut geht

Alle drei schauen mich sorgenvoll an. Offensichtlich sehe ich nicht gut aus. Meine Mutter fragt: " Dir gehts nicht gut, oder?" Ich kämpfe erfolglos gegen die Tränen. Anspannung und der Druck der letzten Stunden müssen raus. Ich kann erstmal nichts sagen. Verpflege mich, bleibe ein paar Minute stehen, erzähle dann kurz. Auf die Frage ob ich aufhören möchte, schüttele ich nur den Kopf.

Amelie meint: "Papa, du schaffst das!" Ich schaue sie an und weiß, daß sie recht hat. Ich schaffe das! Weiter!

Burglauenen: 8h08.10, 350Hm, 1825 Abstieg, 138HF, Position 95

Ich laufe los und fühle mich irgendwie besser. "Papa, du schaffst das!" Jawoll. Ich schaffe das! Ich schaffe das!! Ich schaffe das!!! Ich scheiße mich erstmal selbst zusammen: "Du blöder Penner, dämlicher Schlappsack (usw., die übleren Beschimpfungen lasse ich hier mal weg), jetzt ist Schluß mit dem Gejammer. Es ist super Wetter, traumhafte Landschaft, es läuft doch, jetzt mach einfach mal weiter, denk positiv, versuche das Rennen zu genießen." Ich tauche den Kopf in einen Brunnentrog. Herrlich. Frisch. Tut gut. Laufe in einem Tempo, das sich angenehm anfühlt weiter. Sehe vor mir einen Läufer, einer kommt von hinten. Alle ähnliches Tempo wie ich. Na also, so schlecht kann ich dann nicht sein. Rolle weiter und mache mir Gedanken. Was ist heute noch drin für mich? Tempo raus? Auf Ankommen laufen? Ist überhaupt noch eine ansprechende Zeit drin? Nach ca. 8h10 in Burglauenen bin ich auf die zweite Hälfte gegangen. Mal zwei macht etwas über 16. Allerdings bei dem bisherigen Verlauf und der Befindlichkeit dürfte die zweite ja eher langsamer werden. Da fällt mir ein, daß Amelie die Durchgangszeiten des Vorjahres dabei hat für 15, 16, 17 Stunden. Ich werde sie fragen, wie ich liege und dann entscheiden. Nach 1h29 komme ich nach Wengen. Auf dem Downhill überhole ich wieder einige Läufer. Bin jetzt wieder mehr im Wettkampfmodus. Schnelle Verpflegung: das übliche, zwei Gels, schnell runterwürgen, Riegel kann ich nicht mehr sehen, alles andere lacht mich auch nicht an, habe auf nichts Lust. Wo es gibt, nehme ich Bouillon, ansonsten nur Competition. Die anderen Läufer in der Verpflegung machen länger Pause. Ich eile weiter. Seit Burglauenen fast 20 Leute überholt. Bin wieder positiv. Fühle mich besser.

Wengen: 9h37.25 rein, 9h39,18 raus, 715HM, 315 Abstieg, 138 HF

Nun Richtung Männlichen. Knapp 1000 HM vor der Brust.

Freue mich irgendwie auf diese Etappe. Eigentlich ist die Strecke Wengen-Männlichen eher unspektakulär, man läuft erst auf Schotterserpentinen, dann im Wald steile Wurzelpfade und am Schluß Trampelpfade auf offenem Gelände. Ich weiß aber vom Trainingswochenende, daß sich das sehr gleichmäßig laufen läßt, bei vernünftigem Tempo. So ist es dann auch. Halte den Puls konstant. Um die 140. Vor und hinter mir laufen Läufer in ähnlichem Tempo. Laufe mit zwei Mitläufern die gesamte Strecke bis Männlichen, können uns von denen hinter uns etwas absetzten. Geht ganz gut.


Kurz vor Männlichen


Und oben warten Amelie und meine Eltern. Freue mich. Bin jetzt auch stimmungsmäßig wieder gut drauf. Wir kommen nach 1h19.40 oben an.

Der Aufstieg zum Männlichen

Ja, so sieht Zuversicht aus!?!

Nein, noch nicht das Ziel - Männlichen Verpflegungsstation

Lagebesprechung

Mein Eiger Ultra - Betreuerteam wartet auf mich. Allerdings sind sie überrascht, daß ich schon komme. Sie hatten nach meinem Einbruch und Eindruck in Burglauenen, ebenso wie aufgrund der Zwischenzeit dort, noch nicht mit mir gerechnet. Das motiviert zusätzlich und deckt sich mit meinem Gefühl, mich etwas regeneriert zu haben.

Same procedure as every time: Würge zwei Gels rein, ein paar Orangenschnitze, Cola für die Stimmung, Bouillon. Frage Amelie nach der Durchgangszeitentabelle. Sie hatte schon geschaut: ich liege noch 5 Minuten hinter der Durchgangszeit für 16 Stunden (Durchgangszeiten eines E101 16h-Läufers des Vorjahres). Amelie meint, das könnte ich schaffen, wird aber knapp. Meine Mutter ruft mir noch zu, daß ein Läufer mit Glatze vor kurzem durchgekommen wäre. An dem hätten sie sich immer orientiert. Wenn der an einer Station war, kam etwas später dann auch ich. Ich hätte aufgeholt...

Noch eine positive Nachricht! Und knapp hinter der 16-Stundenzeit ist auch nicht schlecht. Knapp bedeutet machbar! Also weiter. Fühle mich freier.

Männlichen: 10h57, ca. 920HM, Position 77.

In der Woche vor dem Wettkampf hatte ich Freunden den Link zum GPS-Tracking geschickt. Jeder E101-Läufer trägt beim Eige Ultra Trail ein GPS-Gerät und kann über den Link getrackt werden. Super Service! Während des Laufs hat ständig mein Handy gebimmelt, bis ich es ausgeschaltet habe. Später hat sich rausgestellt, daß einige Leute nicht nur mein Rennen in der Heimat verfolgt hatten, sondern mir auch noch aufmunternde Nachrichten schickten. Freut mich total.




Nun also Richtung Kleine Scheidegg. Überlege mir, daß wir jetzt auf ca. 2200 Meter sind. Ziel ist auf 1000. Also geht es tendenziell runter. Und runter ist meine Stärke. Runter überhole ich und hole Zeit raus. Die 16 Stunden sollten also machbar sein. Das motiviert mich. Nach den bisherigen Schwierigkeiten wären 16 Stunden super.

Es geht über Rosteckli und Lauberhorn zur Kleinen Scheidegg. Also vom Männlichen aus erst ein Stück runter, dann hoch in einer Schleife oberhalb der Kleinen Scheidegg, runter zum Fahrweg und denselben hoch zur Scheidegg. Dort der nächste Verpflegungsstand.  Auf dem Weg dorthin überhole ich bergab zwei Läufer, die mich bergauf wieder überholen. Gefühlt sehe ich die beiden zum 15ten Mal. Nach 1h29 bin ich an der Bahnstation.

Kleine Scheidegg: 12h30, Position 70.

Beim Verlassen der Station gehe ich erstmal ein paar Schritte und atme tief durch. Mann, ich bin schon etwas müde. Aber am besten immer gleich wieder anlaufen. Auch das habe ich trainiert. Ständiger Wechsel zwischen Gehen und Laufen. Fällt einem Läufer oft schwer. Habe das Gefühl, daß auch hier der Gewöhnungseffekt des Trainings funktioniert. Anlaufen geht gut. Habe insgesamt das Gefühl, daß der Körper gut trainiert und konditioniert ist. Trotz der Probleme und nun auch langen Zeit unterwegs ist alles ok. Oberschenkel werden langsam ein wenig hart, aber sonst tut mir nichts weh und die "Maschine" läuft rund.

Wir laufen nun auf einem Trampelpfad auf und ab. Sehe plötzlich eine Glatze vor mir. Super, das ist der Orientierungsläufer meiner Mutter. Gibt mir das Gefühl wieder aufgeholt zu haben. Dann liegt die Eigermoräne und somit ein spektakulärer Blick vor uns. ca. 300 HM aber kerzengerade und steil.
Glatze überholt mich wieder. Als ich ihn vorbeiwinke, winkt er ab. Er könne auch nicht schneller. Nimmt mir dann aber auf der Moräne 100 Meter ab. Lasse mich von den gewaltigen optischen Eindrücken ablenken. Wenn ich oben bin, also am Eigergletscher, dann geht es quasi nur noch bergab. Herrlich.

Nach 46 Minuten bin ich oben. 100 Meter flache Strecke, Beine lockern, Luft holen und --- abwärts!

Habe mir überlegt, es nun locker laufen zu lassen. Also flott, aber nicht voll Stoff. Auskotzen macht nur Sinn, wenn man eine Stundenmarke knacken kann und ich bin mir inzwischen sicher, daß ich die 16 Stunden schaffe, aber keine Chance auf 15 habe. Also so schnell laufen, wie es gefahrlos möglich ist und sich gut anfühlt. Überhole nach wenigen Minuten Glatze, der zu seinem Laufpartner meint: "Ah, ein Spezialist..." Lächle in mich hinein und denke, daß sich das Downhill-Training voll ausgezahlt hat. Überhole einige Läufer. Lasse es laufen. Das ist Traillaufen. So macht das Spaß.


Steiler Pfad nach Alpiglen


13h50, Alpiglen, Tauche den Kopf wieder in einen Brunnen. Herrlich erfrischend. Kurz verpflegen, weiter.

Es geht nun erst auf Schotter und dann auf Asphalt bergab. Langweilig, aber man sieht Grindelwald vor sich. Also das Ziel vor Augen. Allerdings wartet ja noch die letzte Herausforderung: Pfingstegg über Marmorbruch. Nochmal ca. 400 HM. Meine Fresse, das müßte jetzt echt nicht mehr sein! Zum Glück läuft man in der Talsohle in einen Abschnitt Wald. Schön kühl. Netter Trampelpfad, wurzelig, flott zu laufen. Macht Spaß und ich fühle mich richtig gut. Seit Alpiglen habe ich das Gefühl, es geschafft zu haben. Dann kurz oberhalb der Gletscherschlucht geht es wieder bergan. Erstmal Richtung Marmorbruch, dann weiter Richtung Pfingstegg.


Brücke Richtung Marmorbruch


Stimmung ist gut




Bin total entspannt und freue mich auf das Ziel

Gehe flott, aber nicht voll Stoff. Möchte diese letzte Einheit genießen. Allerdings höre ich von hinten das gleichmäßige Klack-Klack-Klack der Stöcke eines Läufers.  Es holt also jemand auf. Eigentlich egal. Ich weiß zu dem Zeitpunkt eh nicht, auf welchem Platz ich liege. Es geht mir um die Zeit. Aber irgendwie will man sich dann doch nicht überholen lassen. Da schlägt das Wettkampf-Gen durch. Bleibe also dran, ohne zu übertreiben. Aber irgendwie geht jetzt alles leicht von der Hand. Ich weiß, daß ich gleich da bin. Diese letzten paar Höhenmeter schafft man dann ja auch noch. Und es stellt sich schon ein freudiges Gefühl ein, es geschafft zu haben.

Kurz vor Pfingstegg laufen dann von hinten zwei Läufer auf mich auf. Und siehe da, einer davon ist einer der beiden Läufer, mit denen ich mich schon bis zur Kleinen Scheidegg ständig gegenseitig überholt hatte.

Kurz vor Pfingstegg


Wir schauen uns an und müssen beide lachen. Irgendwie cool, daß wir nach den zahlreichen Begegnungen im Verlauf des Rennens den allerletzten Gipfel gemeinsam erreichen. Laut Rangliste, in der ich später nachschaue, habe ich ihn als Stefan Haebler identifiziert. Stefan meint: "Jetzt hast du ja gute Karten: Es geht nur noch bergab."  Offensichtlich denkt auch er über Platzierungen nach. Wir verpflegen uns gemeinsam und dann geht es auf den letzten Abstieg.  Lieber, Stefan, es war mir eine Freude, mit dir zu laufen.

Zum Abschied meint Stefan: "Hau rein, laß es laufen, wir sehen uns unten." Es kommen 400 HM Downhill. Schotter und Asphalt, steil, runterrollen. Kurz vor dem Tal ruft mir eine Zuschauerin zu: "Nur noch 2,5 Kilometer." Das ist irgendwie das Kommando zum Freuen. Es geht flach am Bach entlang unterhalb Grindelwalds. Durch einen Campingplatz, viele Camper sitzen an der Strecke auf ihren Klappstühlen und applaudieren. Das freut einen und tut gut. Ich fühle mich jetzt richtig gut, leicht und laufe flott. Denke schon ans Ziel. Katrin, Sabine, Amelie, Andrea und meine Eltern werden warten. Dann geht es vom Bach einen letzten kurzen steilen Stich hinauf nach Grindelwald auf die Hauptstraße. An der Einmündung stehen viele Zuschauer und jubeln. Geiles Gefühl. Ich bekomme Gänsehaut. Ein herrliches Glücksgefühl durchströmt mich. Ich klatsche ab und biege auf die Hauptstraße. Noch wenige Meter. Rein in das Eventgelände und Richtung Ziel. Sehe mein Team und fühle mich einfach nur gut.

Kurz vor dem Ziel - Katrin fotografiert


Zieleinlauf - Eiger Ultra Trail E101

Kurze Begrüßung und ab ins Ziel.Stehenbleiben, Luft holen, Freudenschrei. Bin glücklich und es stellt sich sofort ein Gefühl der totalen Zufriedenheit ein. Ich habe es geschafft! In 15 Stunden 33 Minuten 14 Sekunden. 56. Platz, 3. Platz Herren Seniors II beim Eiger Ultra Trail E101. 101 Kilometer und 6700 Höhenmeter. Habe mich durchgekämpft durch alle Höhen und Tiefen, die der Tag zu bieten hatte

Durchatmen

Nachdenken über den Tag

Heldengeschichten erzählen

Stefan Haebler - Rennanalyse

"A life in one day", wie Ann Trason so schön formuliert hat. Ja, das war es. Alles dabei gewesen. Es hätten vielleicht ein paar weniger dauerhafte Tiefen sein dürfen, aber umso stolzer bin ich über die erbrachte Leistung. Alles in allem ein unglaublicher Tag, den ich sicherlich auch erstmal sacken lassen und verarbeiten muß. Eins weiß ich auf jeden Fall: Das wird nicht mein letzter Ultra Trail gewesen sein.

In diesem Sinne: See you on the trails.


Nachtrag:
Sonntag, 16.7., 10 Uhr, Siegerehrung.

Ich stehe ja nicht oft auf dem Podest. Toll, es hier geschafft zu haben.



Siegerehrung E101 - Herren Seniors II





Nette Veranstaltung, gut moderiert. Man sieht auch mal einige der Läufer, die man sonst nur aus Magazinen oder aus dem Internet kennt. Wir machen ein paar Erinnerungsfotos.





Mit Stephan Hugenschmidt, Sieger Herren, Eiger Ultra Trail, E101


Mit Urs Jenzer, 2. Platz, Eiger Ultra Trail, E101

Mit Andrea Huser, Siegerin Damen, Eiger Ultra Trail, E 101

Außerdem treffe ich auch nochmal Otmar Mitter, der wieder Herren Seniors II gewonnen hat.



Mit Otmar Mitter, Sieger Herren Seniors II, Eiger Ultra Trail, E 101

Nach 14h06 letztes Jahr diesmal in 13h12. Unglaublich. Wahnsinns Steigerung. Hut ab, eine sensationelle Leistung. Er erzählt mir, daß es ihn gleich nach einem Kilometer geschmissen hat. Das Rennen ist er volle Kanne gelaufen, nahe des Maximalpulses und hat dann immer wieder längere Pausen gemacht. Kaum zu glauben, daß man ein solch langes Rennen so laufen kann. Ich bin beeindruckt. Lieber Otmar, vielen Dank für die guten Tips und die netten Gespräche. Jetzt fahre ich nach Hause, trainiere mal ordentlich und nehme 5 Kilo ab, dann schlagen wir uns nächstes Jahr um den Titel. ;-)

In diesem Sinne: See you next year on the Eiger Trail.


Nachtrag 2:

Katrin meinte gerade, der E101 wäre Qualifikationslauf für den Western States 100.
In diesem Sinne: See you auf welchem Trail auch immer.


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